Seit der zweiten Aufdeckungswelle ab 2010 scheint das Thema sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Öffentlichkeit und Politik fest verankert zu sein. Im Widerspruch dazu steht die gravierende Unterfinanzierung von Unterstützung für Betroffene. Dabei begann bereits in den 1980ern der Kampf um die Enttabuisierung dieses Themas in allen Sphären der Gesellschaft. Die Situation der spezialisierten Fachberatungsstellen als zentrale Anlaufstellen für Betroffene und Angehörige bleibt trotz alledem prekär. Um diese Schieflage zu verändern, wurde die Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF) gegründet, die am 05. Mai ihre Eröffnung in Berlin feiert. Sie macht sie sich stark für eine verbesserte Versorgung für Betroffene durch finanziell abgesicherte und gut ausgestattete Fachberatungsstellen.
„Der Runde Tisch Sexueller Kindesmissbrauch hat deutlich aufgezeigt, dass die Versorgungssituation von Betroffenen sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend nicht ausreichend ist. Mit der Finanzierung der Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung hat das Bundesfamilienministerium einen ersten wichtigen Schritt unternommen, um die wichtige Arbeit der Fachberatungsstellen vor Ort zu unterstützen und zu stärken“, so Dr. Ralf Kleindiek, Staatssekretär im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend anlässlich der Eröffnung.
„Institutionen wie die Aufarbeitungskommission und der Unabhängige Beauftragte für Fragen des Sexuellen Kindesmissbrauchs stärken das Thema in der Öffentlichkeit und ermutigen dadurch Betroffene, sich zu offenbaren und Unterstützung zu suchen. Um diesem erhöhten Bedarf gerecht zu werden, muss Politik dafür sorgen, dass es genügend Beratungsangebote gibt,“ mahnt Katrin Schwedes, die Leiterin der neuen BKSF. Einem wissenschaftlichen Gutachten zufolge steigt die Nachfrage von Beratungs- und Präventionsangeboten sowie von Unterstützung bei der Entwicklung von Schutzkonzepten seit Jahren. Nur für einen kleinen Anteil der Fachberatungsstellen führte dies zu einer entsprechenden Erhöhung des Budgets. „Der Rest macht weiter wie bisher – mit großem persönlichen Engagement aber unterfinanziert und überausgelastet. Betroffene erhalten so nicht die Versorgung, die sie brauchen,“ sagt Katrin Schwedes.
Dabei ist der Bedarf enorm – aktuelle Studien gehen von einer Million betroffenen Kindern und Jugendlichen sowie von acht bis neun Millionen betroffenen Erwachsenen in Deutschland aus. Schätzungen der BKSF zufolge kommt im Bundesgebiet im Durchschnitt aber nur eine spezialisierte Fachberatungsstelle auf 150.000 Einwohner*innen, in manchen Bundesländern sind es sogar 450.000 Menschen.
Ines Hattermann von Wildwasser Magdeburg ist Mitglied im Fachstellenrat der BKSF und begrüßt die Entscheidung des Bundesministeriums, nun eine Bundeskoordinierung zu fördern. „Wir in den Fachberatungsstellen kämpfen um jede Form der Finanzierung. Dabei sollten eigentlich die Angebote für die Betroffenen im Mittelpunkt stehen. Wir haben nicht die Ressourcen, um unsere Forderungen in der Bundespolitik einzubringen oder mit allen politischen Entwicklungen Schritt zu halten. Deswegen ist es so wichtig, dass wir nun eine Stelle haben, die unsere Anliegen vertritt. Wir unterstützen unsere Klient*innen dabei, für sich Sicherheit zu schaffen. Selbst stehen wir aber oft mit dem Rücken zur Wand.“
Die Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend