Am 7. November 2019 hat der Bundestag ein neues Soziales Entschädigungsrecht (SGB XIV-E) beschlossen. Damit geht das Gesetz in den Bundesrat. Dieses SER wird grundsätzlich zum 1. Januar 2024 in Kraft treten. Wir planen eine Arbeitshilfe, die untersuchen soll, was das neue soziale Entschädigungsrecht für die Beratungspraxis bedeutet. Den Gesetzesgebungsprozess zum SER hatten wir intensiv begleitet, zuletzt als Sachverständige bei der öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales. In dieser Kurzinfo wollen wir einige der zentralen Punkte des neuen Gesetzes vorstellen:
1. Bestärkte Wahrscheinlichkeit und Beweiserleichterung
In der Vergangenheit sind viele Betroffene sexualisierter Gewalt an der „doppelten Kausalität“ gescheitert. Sie mussten einen Kausalzusammenhang sowohl zwischen schädigenden Ereignis und Schädigung als auch zwischen Schädigung und Schädigungsfolgen nachweisen. Nunmehr ist eine Beweiserleichterung vorgesehen, d.h. nach den Voraussetzungen des § 117 SGB XIV-E reicht eine Glaubhaftmachung aus. Außerdem ist die bestärkte Wahrscheinlichkeit im Gesetz normiert. Danach wird unter den Voraussetzungen des § 4 Abs. 5 SGB XIV-E bei psychischen Gesundheitsstörungen die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs im Einzelfall vermutet.
2. Gewaltbegriff
In der Vergangenheit hat das OEG einen tätlichen Angriff vorausgesetzt, so dass es für Opfer psychischer Gewalt sehr schwierig war, einen Anspruch zu begründen. Nunmehr sind auch Opfer psychische Gewalttaten anspruchsberechtigt (§ 13 SGB XIV-E), wenn die Tat eine gewisse Schwerwiegenheit aufweist. Es werden Beispiele für schwerwiegende Taten genannt und dazu zählen explizit auch Sexualstraftaten (§§ 174-176b, 177, 178 StGB). Das ist in unseren Augen eine große Verbesserung.
3. Gleichgestellte Taten
Vernachlässigung und Delikte in Bezug auf sogenannte "Kinderpornographie" sind einer Gewalttat gleichgestellt und berechtigen zu einem Anspruch.
4. Anspruchsberechtigung unabhängig der Staatsangehörigkeit
Anspruchsberechtigt sind Menschen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Bei Gewalttaten im Ausland gelten spezielle Regelungen (§ 15 SGB XIV-E).
5. Versagung und Entziehung
Die faktische Anzeigepflicht ist entfallen - dennoch wird z.B. bei "unbilligem Verhalten" die Leistung versagt. Eine Entziehung von Leistungen ist nicht mehr vorgesehen. Das Landesversorgungsamt muss die Leistung außerdem so erbringen, dass sie nicht der schädigenden Person zugutekommt.
6. Schnelle Hilfen
Schnelle Hilfen (Fallmanagement und Traumaambulanz) sind im SER verankert worden. Das ist ein neuer Anspruch, der in das Gesetz aufgenommen wurde und unmittelbar Betroffene unterstützen soll. Fachberatung ist nicht als Schnelle Hilfe in das Gesetz aufgenommen worden – jedoch ist die Möglichkeit von Kooperationsvereinbarungen vorgesehen. Die Landesversorgungsämter können diese mit Beratungsstellen abschließen. Hier wird es darauf ankommen, diese Möglichkeit mit Leben zu füllen.
7. Traumaambulanz
Betroffene haben Anspruch auf Leistungen in einer Traumaambulanz. Der Antrag auf Leistungen in einer Traumaambulanz muss nach der 2. Sitzung gestellt werden. Der Anspruch besteht 12 Monate nach dem schädigenden Ereignis oder 12 Monate nach der psychischen Belastung, wenn das Ereignis länger als 12 Monate zurückliegt. In der Regel sind 15 Sitzungen vorgesehen und die Behandlung kann um 10 Sitzungen verlängert werden. Bei Kindern und Jugendlich sind 18 Sitzungen vorgesehen.
8. Geltungsbereich
Das neue Gesetz tritt erst ab 2024 in Kraft. Lediglich der Anspruch auf Leistungen in einer Traumaambulanz besteht ab 2021. Zum Teil werden Regelungen rückwirkend ab 01.07.18 gelten, etwa die Anspruchsberechtigung unabhängig von der Staatsbürgerschaft. Wird eine Person jetzt oder vor 2024 Opfer einer Gewalttat, wird sie jedoch nach altem Recht behandelt. Das halten wir für sehr problematisch.
9. Monatliche Entschädigungszahlungen
Die Höhe reicht von 400 bis 2000 Euro monatlich, das stellt eine Erhöhung dar.
Den Gesetzesentwurf gibt es hier. (Stand 19.11.2019)
BKSF – Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend
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