Wir haben zu dem Referentenentwurf des BMJV Stellung genommen. Zu dem Diskurs um Strafverschärfung, auf die sich die Diskussion in den letzten Wochen stark fokussiert hat, möchten wir vorweg festhalten, dass wir die Verengung der Diskussion auf eine rein repressive äußerst kritisch sehen. Denn diese Verengung ordnet sich in einen Diskurs ein, in dem der Ruf nach law&order, hartem Durchgreifen und hohen Strafen notwendige gesellschaftliche Debatten zur Bekämpfung von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend unterdrückt und damit falsche Akzente gesetzt werden.
Wir halten deshalb an dieser Stelle fest: Sexualisierte Gewalt ist das Ausnutzen von Machtverhältnissen. Die Bekämpfung sexualisierter Gewalt muss deshalb immer gesellschaftliche Strukturen mitdenken und kann deshalb auch nur gesamtgesellschaftlich gelingen. Stichworte müssen hierbei Erwachsenen-Kind-Verhältnisse aber auch patriarchale Strukturen sein. Das ist eine Frage der Haltung, die sich in einem Kind-Lehrerin-Verhältnis niederschlagen kann aber eben auch im Verfassen von Gesetzen. Dabei muss die Stärkung der Rechtsposition von Kindern und Jugendlichen, Prävention an Schulen und Kitas, die Qualifizierung von Fachpersonal, Aufklärungskampagnen für die gesamte Bevölkerung, eine bessere Ausstattung und Qualifizierung von Jugendämtern sowie der Ermittlungsbehörden und ein breites, gutes Unterstützungsnetz an Beratung und Hilfe für sämtliche Betroffene (Mädchen*, Jungen*, Frauen*, Männer*, non-binäre Menschen, Menschen mit Beeinträchtigung, Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund etc.) mitgedacht werden. Hierin würde auch eine große Chance für die Justiz liegen.
Dies alles vermissen wir in diesem Gesetzespaket. Um die Relation zu verdeutlichen: Lediglich ein Drittel der sexualisierten Gewalterfahrungen wird überhaupt mitgeteilt und nur ein Prozent wird Ermittlungsbehörden oder Jugendamt bekannt.[1] Wir hätten uns gewünscht, dass den Fachpersonen, die seit Beginn der Debatten eine andere Schwerpunktsetzung eingefordert haben, mehr Gehör verschafft worden wäre und dass sich der law&order-Diskurs hin zu einen gesellschaftlichen Diskurs über die Ursachen von sexualisierter Gewalt gegen Kinder und wirksame Gegenstrategien verschoben hätte.
Hinsichtlich der Gerichtsverfahren, auf die wir uns in dieser Stellungnahme ausschließlich konzentrieren werden, möchten wir festhalten, dass die Hürden und Belastungen für Betroffene sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend vor, während und nach einem Gerichtsverfahren nach wie vor erheblich sind. So sehr wir einzelne Regelungen begrüßen, so sehr sehen wir kritisch, dass viele Bereiche, in dem dringender Handlungsbedarf besteht, mit diesen Reformvorschlägen nicht neu geregelt werden. Eine spürbare Erleichterung der Verfahren für Betroffene wird mit diesem Entwurf leider nicht angegangen. Es bleibt zu befürchten, dass die Anzeigebereitschaft angesichts der Realität der Strafverfahren nicht steigt, evtl. kann es sogar zu einer Verschärfung der Aussagebedingungen für Betroffene kommen. Deshalb haben wir uns erlaubt, neben einer Stellungnahme zu den Vorschlägen des Referentenentwurfs eigene Vorschläge einzubringen.
Die gesamte Stellungnahme gibt es hier:
BKSF – Bundeskoordinierung Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend
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Telefon: 030/88 91 68 66
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