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Austauschraum 9: Klassismus, Obdach- und Wohnungslosigkeit und sexualisierte Gewalt

Lena Ehlers stellt dar, worum es im neunten Austauschraum ging:

Da das Thema sehr groß ist und die Diskussionsgruppe eher klein war, klärten wir zunächst, was jede*r unter den einzelnen Begrifflichkeiten versteht. Bei Obdach- und Wohnungslosigkeit war dies schnell erledigt, bei Klassismus hingegen trafen unterschiedliche Definitionen aus verschiedenen Arbeitsbereichen und auch Generationen aufeinander, was die Teilnehmenden bereits als sehr bereichernd empfanden. Als Beispiel: Ein Mensch, der nicht arm ist, aber so aussieht, als sei er es, kann in bestimmten Situationen ebenso von Klassismus betroffen sein wie ein Mensch, der tatsächlich von Armut betroffen ist.

Bestandsaufnahme

Einige der zentralen Fragen in der anschließenden Diskussion waren: Wo sind wir als spezialisierte Fachberatungsstellen gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend mit den Auswirkungen von Klassismus konfrontiert? Finden Menschen, die von Wohnungs- und Obdachlosigkeit betroffen sind, den Weg in die Fachberatungsstellen und wenn nicht, warum nicht? Was können Fachberatungsstellen tun, um Betroffenen den Weg in die Beratung zu erleichtern oder überhaupt erst zu ermöglichen?

Es stellte sich heraus, dass Wohnungslosigkeit von Betroffenen, die bereits in Beratung sind, am ehesten auffällt. Obdachlose finden sich selten in den Fachberatungsstellen wieder, so die Erfahrung der Anwesenden. Entweder sie geben sich nicht als solche zu erkennen oder sie suchen tatsächlich sehr selten Beratungsstellen auf.

Klassenzugehörigkeit prägt Gewalterleben

In der Diskussion wurde schnell deutlich, dass sexualisierte Gewalt zwar durchweg alle Klassen betrifft, die Auswirkungen sich aber je nach Klassenzugehörigkeit mitunter stark unterscheiden: Jemanden, die*der ohnehin weniger privilegiert ist, kann das Erfahren von sexualisierter Gewalt viel härter treffen, als jemanden, die*der durch Privilegien abgesichert und gut versorgt ist. Nach Erfahrung der Fachkräfte erhöht sexualisierte Gewalt insgesamt das Risiko für prekäre Lebenslagen.

Außerdem sprachen Teilnehmende des Austauschraums an, dass obdachlose Menschen in der Regel sehr klar und selbstkompetent priorisieren. Priorität hat in den meisten Fällen das grundsätzliche Überleben: Unterkunft/Schlafplatz sichern, Lebensmittelbeschaffung, finanzielle Mittel, medizinische Versorgung, evtl. Beschaffung von Suchtmitteln etc. Sind die Basics der Versorgung nicht gewährleistet, haben viele Obdachlose vermutlich keine Kapazitäten für ‚optionale‘ Dinge wie die Bearbeitung traumatischer Gewalterfahrungen. Die Sicherung der Existenz steht schlicht im Vordergrund. Dass Obdachlose also selten den Weg in eine Fachberatungsstelle gehen, hat weniger mit mangelnder Bereitschaft zu tun als vielmehr mit dem kompetenten Gestalten der eigenen Lebenswelt nach Priorität, in der existenzielle Probleme Vorrang haben.

Hilfen vernetzen

Die Anwesenden waren sich einig: Um Obdachlose dennoch zu erreichen, wäre es wichtig, die einzelnen Hilfen –  von medizinischer Versorgung über Versorgung mit Essen und Unterkunft hin zu Fachberatung zu sexualisierter Gewalt, Sucht und Co – eng miteinander zu verzahnen. Dafür wünschten sich die Teilnehmenden des Austauschraums kurze Wege und Niedrigschwelligkeit, z.B. gut erreichbare Zentren oder mobile Teams, die alles, was gebraucht wird, zusammenbringen, um Betroffenen Zeit, Überwindung und Energie zu sparen. Dies wäre nicht nur für obdachlose Personen sinnvoll, sondern für alle, die durch Klassismus benachteiligt werden.

Insgesamt wurde der Austausch als sehr belebend und „einend“ empfunden – die Teilnehmenden profitierten davon, dass so viele verschiedene Fachstellen ähnliche Erfahrungen und Lösungsvorschläge bereithielten. Alle waren sich einig, dass die Problematik zu oft übersehen und nicht ausreichend berücksichtigt wird, obwohl jede Fachberatungsstelle damit zu tun hat.

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